Infektionskrankheiten zählen zu den häufigsten Todesursachen weltweit und stellen auch in Industrienationen eine wachsende Bedrohung dar. Weil immer mehr Erreger Resistenzen gegen verfügbare Antibiotika entwickeln, könnte auch von Krankheiten, die heute gut zu behandeln sind, in naher Zukunft wieder eine tödliche Gefahr ausgehen. Angesichts der aktuellen Situation müssen schnelle Diagnoseverfahren und neue Therapien für den Kampf gegen Infektionen erforscht werden. Photonische Technologien — also Methoden und Prozesse, die Licht als Werkzeug nutzen — können diese drängenden Probleme nachhaltig lösen. Lichtbasierte Verfahren messen schnell, empfindlich, berührungslos und tragen dazu bei, besser zu verstehen, wie Mikroben uns krank machen, wie sich unser Körper wehrt und wie sich diese Prozesse beeinflussen lassen.
Nutzeroffenes Zentrum: Interdisziplinäre Kooperation unter einem Dach
Bis die Fortschritte dieser Forschung beim Patienten ankommen, vergeht allerdings viel Zeit. „Bis aus einer Idee ein marktfähiges Produkt wird, dauert es im Schnitt 14 Jahre“, so Prof. Jürgen Popp, wissenschaftlicher Direktor des Leibniz-Instituts für Photonische Technologien (Leibniz-IPHT) in Jena, das maßgeblich am neuen Zentrum für Infektionsforschung mitwirkt. „Viele Konzepte können nicht realisiert werden, da Ressourcen und Entwicklungsstrukturen nicht vorhanden oder nicht nutzeroffen zugänglich sind.“
Mit dem neuen Forschungszentrum soll sich das ändern. „Dank der umfangreichen und nachhaltigen Förderung des LPI durch den Bund können wir diese Lücken schließen“, prognostiziert Popp, der auch Vorstandssprecher des Jenaer Forschungscampus InfectoGnostics ist. „Wir tragen so dazu bei, Lösungen zügig in diagnostische Geräte und Therapieansätze zu überführen: damit sie schneller vom Labor ans Krankenbett gelangen.“ Eine solche Forschungsinfrastruktur spiele „für die Leistungsfähigkeit, Innovationskraft und internationale Wettbewerbsfähigkeit des Wissenschafts- und Wirtschaftsstandorts Deutschland“ eine Schlüsselrolle, betont Bundesforschungsministerin Anja Karliczek. Herausragende Grundlagenforschung sei die Voraussetzung „für neues Wissen, technologische Durchbrüche und damit auch für unseren künftigen Wohlstand.“
Das neue Forschungszentrum entspringe einem dringenden medizinischen Bedarf, erläutert Prof. Dr. Michael Bauer, Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin am Universitätsklinikum Jena und Sprecher des Integrierten Forschungs- und Behandlungszentrums Sepsis und Sepsisfolgen. „Mediziner brauchen schnellere und genauere Diagnose-Methoden, um frühzeitiger und gezielter zu behandeln.“ Bei schweren Infektionskrankheiten zähle vor allem eins: Zeit. „Bisherige Standard-Diagnoseverfahren liefern zwar zuverlässige Ergebnisse, doch häufig müssen Mediziner zu lang warten, etwa bis sie wissen, welches Bakterium eine Infektion auslöst und welche Medikamente dagegen wirken. Schnelle Informationen für einen zielgenauen Antibiotika-Einsatz können helfen, uns aus der Resistenz-Misere zu befreien.“
Innovative Diagnosemethoden als Ausweg aus der Resistenz-Misere
Das ab 2019 entstehende Leibniz-Zentrum für Photonik in der Infektionsforschung hat sich zum Ziel gesetzt, neue Verfahren für die Diagnose und Therapie von Infektionen zu erforschen und zu entwickeln. Dafür bündelt es die in Jena vorhandenen Kompetenzen auf den Gebieten der Optik und Photonik sowie der Infektionsforschung. Dieser Ansatz sei „einzigartig und hervorragend geeignet, um Infektionskrankheiten früh zu diagnostizieren und rechtzeitig geeignete Therapieantworten zu finden — insbesondere bei multiresistenten Erregern“, urteilt der Wissenschaftsrat, Deutschlands wichtigstes wissenschaftspolitisches Beratungsgremium.
In dem nutzeroffenen Zentrum arbeiten zukünftig Naturwissenschaftler, Technologieentwickler, Mediziner und Medizintechnikhersteller eng zusammen. Unter einem Dach werden bereits bestehende Kooperationen zwischen dem Leibniz-IPHT, dem Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut (Leibniz-HKI), dem Universitätsklinikum Jena und der Friedrich-Schiller-Universität Jena vertieft. Die Nutzerinnen und Nutzer des LPI sollen dank kurzer Wege und klarer Übergabepunkte unkonventionelle Ideen schneller umsetzen können als bisher.
„Wir müssen die Forschung intensivieren, um neuartige therapeutische Lösungen und experimentelle Therapieansätze zu erschließen und zu validieren“, betont der wissenschaftliche Direktor des Leibniz-HKI, Prof. Dr. Axel Brakhage. „Hierzu zählen die Behandlung mit neuen Kombinationen vorhandener Wirkstoffe, der Einsatz von Nanopartikeln als Wirkstoffträger, Immunzell-basierte Therapien sowie neuartige Therapien, die eine Resistenzbildung seitens der Mikroorganismen vermeiden oder zumindest verzögern.“
Das neue Forschungszentrum wird für nationale und internationale Spitzenforscherinnen und -forscher wie für Anwender aus der Industrie offen sein. So sollen neue diagnostische Ansätze und zielgerichtete Therapieverfahren entstehen, welche direkt in die Anwendung und industrielle Produktion übertragen werden. Indem Fragen zur klinischen Validierung und Zertifizierung von Beginn an im Vordergrund stehen, kann das LPI die in Deutschland noch bestehenden Lücken in der Umsetzung von Forschungsergebnissen schließen und die Zeit bis zur Markteinführung drastisch verkürzen.
Unkonventionelle Ideen schneller umsetzen als bisher
Mit photonischen Technologien für die klinische Anwendung und dem translationalen Forschungsansatz könne das LPI „die Pathogendiagnostik weltweit revolutionieren“, so der Wissenschaftsrat. Davon profitiert auch der Standort Jena, der mit der Ansiedlung hochqualifizierter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und neuer Firmen rechnen kann. „So wird die Sichtbarkeit und Attraktivität des Forschungsstandorts national und international erheblich gesteigert, insbesondere für den wissenschaftlichen Nachwuchs“, betont Prof. Dr. Walter Rosenthal, Präsident der Friedrich-Schiller-Universität.
Das Großprojekt beantragten das Leibniz-Institut für Photonische Technologien, das Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie — Hans-Knöll-Institut, das Universitätsklinikum Jena und die Friedrich-Schiller-Universität Jena unter der Schirmherrschaft der Leibniz-Gemeinschaft. Das Forschungsvorhaben wird in einem Neubau auf dem Gelände des Universitätsklinikums Jena in drei Phasen realisiert. Nach einer Vorbereitungsphase folgt eine vierjährige Realisierungsphase. In der anschließen- den Betriebsphase steht das Zentrum den Nutzern für Forschungsarbeiten zur Verfügung. Eine Verstetigung wird angestrebt.